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Kein Heim

und keine Sedativa

Einst waren sie ein "One-Hit-Wonder" und tingeln seitdem von Festzelt zu Festzelt. Die "Bella Ciaos" kämpfen zusammen mit ihrem Manager Bert gegen Altersarmut und das Vergessenwerden.

Während sie auf der Bühne über Liebe und Glück singen, wird es in der Realität für die Band immer schlimmer. Anstatt der Anfragen stapeln sich die unbezahlten Rechnungen.

Sie verlieren ihre Wohnung und stehen buchstäbelich am Abgrund, als sich das Schicksal für die skurrilen "Best Ager" noch einmal wendet.

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Fotos: Florian Haderer

Kein Heim und keine Sedativa

(2021)

Barbara Kadletz, Ursula Knoll

Stück frei zur Uraufführung

Rechte: Verlag Schultz & Schirm

entstanden im Rahmen der Tour des Textes 2021 (Wiener Wortstaetten, Theatertexter*innen München, NIDS Berlin, Summerschool Südtirol)

abgedruckt in: Edition Goldstück Nr.2. Hrsg. v. Bernhard Studlar und Martina Knoll. Wien: 2021 (unter dem alten Titel: Falten im Anthropozän)

Szenische Lesung August 2022

Theaterfestival Hin & Weg Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung

Einrichtung: Elisabeth Halikiopoulos

Szenische Lesung des fertigen Stücks November 2021

Kosmos Theater Wien (Wortstattnächte 2021)

Einrichtung: Nehle Dick

Mit Haymon Buttinger, Erika Mottl, Linde Prelog, Stephanie Schmiderer, Paul Wolff-Plottegg

​​​​​Szenische Lesung der ersten Monologfassung August 2020

Auftragswerk des Theaterfestivals Hin & Weg Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung

Litschau am Herrensee zum Festivalthema 2020: Arbeit und Schönheit

Einrichtung: Esther Muschol

Mit: Alois Frank, Stephanie Schmiderer, Helge Stradner, Christa Schwertsik

Figuren

Bert, um die 79, Manager der Schlagerband "Die Bella Ciaos"

Inge, um die 80, Schlagersängerin

Gerhard, um die 80, Schlagersänger

Karin, um die 80, Schlagersängerin

Gabrijela, um die 60, ihre Pflegerin

Bert

Mit den neuen Kostümen wäre das nicht passiert. Weil hätten wir endlich neue, zeitgemäße Kostüme, dann würden wir hier nicht mit der Bimmelbahn durch die Provinz eiern, so wie wir immer durch die Provinz eiern, seit all den Jahren, all den Jahrzehnten. Gott bewahre, all den Jahrhunderten, hätte ich jetzt beinah schon gedacht. Weil, hätten wir die neuen, zeitgemäßen Kostüme, dann stünden wir jetzt gerade bestimmt auf den besten Bühnen diverser Kreuzfahrtschiffe. Würden von Ball zu Ball rauschen. Da hätten wir eine Limousine mit einem Chauffeur! Und der Chauffeur, der würde während unsere Auftritte selbstverständlich auf die Limousine aufpassen, damit die nicht wegkommt. So wie unser alter VW T1 heute. Weil der war ja. Einfach so. In Luft aufgelöst. Ich muss den irgendwie wiederkriegen. Schließlich bin ich der Manager. Total peinlich das Ganze. Aber egal. Ich muss fokussiert bleiben. Atmen. Mich konzentrieren. Zuerst mal die Bellas mit dieser Bimmelbahn sicher zum nächsten Auftritt bringen. Genau. Und dann das Auto. Eins nach dem anderen, Bert. Ruhig Blut, ruhig Blut. Das wird sich schon aufklären lassen. Ganz logisch. Das Auto wird schon da sein. Bestimmt. Oh ich glaub da ist ein Fan. Na schau. Bringt ja doch was diese Volksnähe. So im Zug.

 

Inge

Das kann doch nicht sein, bitte. Warten Sie da alle? Also das glaub ich nicht. Das kann doch nicht sein, dass Sie da alle Ihre Blase so gar nicht unter Kontrolle halten können. Gut, so ein fettes Mittagessen, und dann treibt das Bier ja auch immer. Man muss sich ja was gönnen, auf den Frühschoppen, nicht wahr, oder kommen Sie vielleicht wegen der Musik? Dabei sind Sie doch noch jung, lassen’S das doch einmal anschauen. Weil besser wird’s nicht, so ein Blasenleiden, das sag ich Ihnen, also da bin ich so frei.

 

Bert

Ja, sie sind es wirklich, die Dame, die Bella Ciaos! Sie müssen nicht so verstohlen schauen, Sie kriegen gern ein Autogramm, mit Vergnügen, die Dame. Inge, komm mal rüber! Eine Widmung bitte!

 

Inge

Deswegen fahr ich nie öffentlich. Weil man nie sicher gehen kann, dass es sich ausgeht. Wenn das Ziehen losgeht und der Druck, weil dann sitzt sicher irgendwer Stunden auf dem Häusl oder es ist abgesperrt. Außer Betrieb. Denkt sich ja keiner was dabei von diesen Schaffnern und Bahnhofsverwaltern, die ihre eigenen Klos haben. Und ich steh dann da. Deswegen fahr ich immer nur Auto. Ja, ganz ungeniert bin ich da, auch wenn ich den Jungen damit ihre Zukunft stehl oder was Sie mir sonst noch unterstellen wollen, dass ich einen Generationenvertrag brech oder sonst wie kinderfeindlich bin, ich fahr Auto. Also im Auto mit. Weil in unserem Bus, da ist ein Klo eingebaut. Das war so eine Investition, in unsere Zukunft, hat der Bert gesagt. Eine Rampe für den Rollstuhl hat er gleich miteinbauen lassen, und den Gerhard dabei so gemustert, dabei bewegt sich der noch wie ein Leopard, glaubt man nicht, bei dem Gepäck, das der an sich mitschleppt, aber ich wollt dem Bert da nicht dreinreden. Er muss ja die Finanzen im Griff haben. Die Gabrijela hat die Rampe ganz begeistert rauf und runter fahren lassen, einen halben Tag hat sie sich rumgespielt und Fotos an ihre Kolleginnen in ganz Niederösterreich geschickt. Weil wer hat für die Dementen schon so einen Komfort?

 

Bert

Jetzt hör ich mich schon an wie so ein Zirkusdirektor. Ach, wenn wir nur eine Limousine hätten und einen Chauffeur und ab und zu, da wären wir auch im Fernsehen, so wie früher. Aber nicht in schwarz-weiß, sondern in Farbe! Dolby Sourround oder wie das jetzt heißt! Am Wörthersee zum Beispiel, bei dieser Starnacht. Zwanzig Jahre gibt´s die jetzt auch schon wieder. Und sie haben immer noch nicht angefragt bei uns. Obwohl wir da so gut hinpassen würden. Ich mein, der Peter Kraus ist da auch aufgetreten. Und wir hatten ja wohl damals den größeren Hit.  Der hat bei uns abgekupfert, so war das einmal. Alles, was der über das Showbiz weiß, das hat der von uns gelernt. Eine Wüste war das hier, dieses verschlafene Österreich. Und wir haben ihnen die Popkultur gebracht. Aber weiß das heute noch einer? Nein. Es ist zum aus der Haut fahren. Wie es den Bellas am Willen fehlt. Am Star-Gen. Was hab ich denen schon ins Gewissen geredet. Ich bin doch ihr Manager, verdammt. Aber da kämpfst du gegen Windmühlen. „Zu teuer!“ „Eh schon egal!“ „Der Zug ist schon längst abgefahren“, so einen Blödsinn muss ich mir von denen anhören. Ist mir egal. Ich glaub an die. Ich werde sie auf die echten Bühnen zurückbringen. Dort, wo sie hingehören. Unter Künstler. Unter ihresgleichen. Mit Chauffeur. Die werden schon noch sehen. Das ist die letzte von diesen entwürdigenden, ewigen Touren durch die Pampa. Ich werde sie Rampenlicht zurückbringen. Dort, wo wir uns damals gefunden haben.

Inge, Gerhard, Karin! Lasst doch eure Fans nicht warten! Entschuldigen Sie, die Dame, sie kommen gleich zum Signieren, ein kleines Momenterl noch.

 

Gerhard

Entschuldigen Sie, pardon, ja, danke nur kurz durch, ja da vorbei, ja genau, wirklich, ja da nach hinten in die Ecke. Ja, da würde ich gerne. Danke, oh pardon, ich wollte Ihnen nicht… bin schon durch danke, danke, ganz lieb! Endlich. Ein freier Doppelsitz. Halleluja. Weil jetzt beginnt das wieder. Das mit dem Aufstoßen. Gummibären und Leberwurscht und Galle. Da geht´s schnurstracks in den ich-weiß-nicht-wievielten Kreis der Hölle. Keine Ahnung, wo ich da mittlerweile angelangt bin. Dazu wär` selbst dem Dante nix mehr eingefallen. Zu dieser Kakophonie aus Sodbrennen und Ausdünstung mit Schlagersoundtrack. Obwohl komisch. Heute fäults gar nicht so arg. Vielleicht liegt es ja an der Eisenbahn. Vielleicht verteilt sich das hier besser? Im Auto wärs jetzt schon unerträglich. Na schau an. Schon was Positives heut.

 

Inge

Ein echter VW T1 bitte, Baujahr 1977, Ledersitze, nicht so ein SUV Panzer, mit dem jetzt alle die Kinder zusammenfahren, weil riesen toter Winkel, bis die Elektronik alles hinschmeißt und sie dann am Pannenstreifen liegen bleiben, ohne den Kofferraum aufmachen zu können, weil da gibt’s nicht einmal mehr einen Griff dafür, alles nur Knöpfe, was sag ich, Touch Screen, da musst den Kofferraum auf- und zuwischen. Unser T1 aber, da ist alles echt. Den kannst noch angreifen und riechen. Die guten Tage und die schlechten, die er mit uns erlebt hat. Der zieht noch eine richtige Ölspur hinter sich her, wenn es ihm einfällt, seine Tür kreischt ein bissl, wenn man sie aufschiebt, und in den Sitzen spürst, wie die Stahlfedern mit dir mitschwingen. Hat sogar Rollos vor den Fenstern! Da hab ich mich gegen den Bert durchsetzen können, für die Privatsphäre, hab ich gesagt, wenn dann alle reinglotzen und Autogramme wollen, wusch, lassma die Rollo runter. Sind dann aber keine gekommen, bei uns sinds halt nie so angestanden und haben gekreischt und die Scheiben angeschlatzt vor lauter Schreien. Das ist halt eher gediegen. Jedenfalls ist es dem Wagen gut bekommen, der ist gepflegt, als würden drei Gabrijelas gleichzeitig auf ihn schauen. Der macht es richtig, der Wagen, sich den Abglanz unserer besseren Tage ins Gesicht scheinen lassen.

 

Bert

Du kannst halt heute nicht mehr so ausschauen, wie in den 1960ern. Kannst du einfach nicht. Da musst du mit der Zeit gehen. Auch wenn wir alle schon ein bisserl überwutzelt sind. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass wir keine Klasse mehr haben. Nein. Mit den Kostümen, da wären wir auf den Schiffen und in den Starnächten und im Fernsehen. Stattdessen waten wir immer noch knietief durch den Schlamm von diversen Feuerwehrfesten. Und ich bin dann immer verantwortlich. Dass es nicht läuft. Aber zugehört wird mir auch nicht. Weil, ich bin ja nur der Organisations-Typ, der von wahrer Kunst keine Ahnung hat. Geschenkt. Vor der Kunst kommt die Oberfläche. Und die muss eben glänzen.

 

Gerhard

Das juckt grad wieder wie Sau. Der verfluchte Kragen ist einfach zu eng. Eh normal. So eine Figur, die verändert sich eben. Aber, ich darf den Bertl zitieren: „Solange es nicht auffällt, wie das alles spannt unter dem Sakko, kann man das noch anziehen“. Nachsatz: „Verdient`s halt einfach mehr, dann können wir uns auch endlich die neuen Kostüme für euch leisten.“  Ich lächle dann immer nur höflich, wenn er wieder mit einem seiner Vorträge anfängt. Von wegen angemessene Auftrittskostüme und Geldverdienen und so. Hat ja auch eine unfreiwillige Komik, wie der so tut, als ob nicht ER als Manager für unsere unterirdischen Gagen die Verantwortung tragen würde. Der bildet sich ja wirklich was ein, auf sein Verhandlungsgeschick. Tut dann immer so, als läge es an uns, dass da nicht mehr rausspringt. An unserer schlechten Performance. Lachhaft. Dabei hat sich doch immer er an uns drangehängt. Hat mitgenascht an unserem Talent. Der wär doch immer noch bei seinem Nazivater in der Werkstatt, wenn er unsere Band nicht hätt, zum sogenannten „managen“. Selbst aus dem Grab heraus, würd der Alte den Bertl noch schikanieren.

 

Bert

Nimm den Gerhard zum Beispiel. Der wird auch immer fetter. Der geht aus dem Leim und das spannt alles mit diesem alten Polyester. Aber der scheint sich so zu gefallen! Oder er hat sich schon aufgegeben. Essen. Der Sex des Alters. Wo hab ich den Blödsinn eigentlich wieder her? Gastrosexuell. Noch so ein Ausdruck. Was man alles im Schädel hat, den ganzen Tag, lauter Schwachsinn. Genauso wie dieses ewige „zicke-zacke, zicke-zacke!“. Das ist immer da, das lebt fix in meinem Kopf. Aber das musst du halt bringen. Immer, bei jedem Auftritt, kurz bevor dir das Publikum einschläft. Da musst du das dann bringen. Damit die dann „hoi-hoi-hoi“ zurückschreien können. Und dann geht’s wieder weiter. Dann sind die wieder voll dabei. Und das ist dann auch der Moment, wo immer irgendeiner „Sweet Nico San Marino“ zum Schreien anfängt. Und dann weißt du eh schon Bescheid. Jetzt muss der Hit her. Und den spielst dann halt noch drei Mal hintereinander und dann sind eh alle glücklich. Künstler sind

wir keine für die, glaub ich. Eventuell Musikanten. Im besten Fall.  Halt ohne Instrumente. Playbackmusikanten. Bessere Tanzbären. Entertainer.

 

Gabrijela

Wo ist jetzt bitte wieder meine Tasche? Das gibt’s ja nicht. Draufgesetzt hab ich mich nicht, das würd ich doch merken. Und mitgenommen hab ich sie, ich lass doch meine Sachen nicht einfach so rumkugeln. Entschuldigen Sie, sitzen Sie vielleicht drauf? Nein? Und bei Ihnen da, schaun’S doch bitte einmal da neben sich, auch nix? Und da hinten vielleicht? Nein? Das darf doch nicht wahr sein, seit Monaten geht das jetzt schon so, dass mir regelmäßig Gegenstände verloren gehen. Die schöne Zigarettenschachtel. Der Wohnungsschlüssel. Ah, bitte, also, da ist sie eh, wieso haben Sie nix gesagt, jagt mir gleich einen Schreck ein. Ich weiß auch nicht. Sogar einen Einkauf hab ich im Supermarkt stehen lassen, gleich nach dem Bezahlen, wer weiß, wo ich mit meinen Gedanken war, das war dann natürlich blöd, da haben die Bellas gemurrt, weils kein Mittagessen gab. Ich konnte mich einfach nicht mehr erinnern.

 

Bert

Ja, da schaun Sie jetzt! Genau, das sind DIE Bella Ciaos! Die mit „Sweet Nico San Marino“- hätten Sie nicht gedacht, dass Sie heute mit solchen Stars im Zug sitzen, gell? Ist auch nur eine Ausnahme! Normalerweise fahren die Bella Ciaos in ihrer Limousine! Aber wir versuchen mit der Zeit zu gehen. Sie wissen schon, umweltfreundlich und CO2- neutral reisen, da sind die Bellas natürlich an erster Stelle mit dabei! Ein Autogramm für Sie? Sie möchten bestimmt auch ein Autogramm haben? Oh, für Sie auch? Gerne! Ah da ist ja auch schon die Sängerin! Warten Sie, wo sind sie denn nur, die Autogrammkarten, ah naja, die sind scheinbar aus, aber da drauf kann man ja auch super unterschreiben! (holt einen Stapel Slipeinlagen) … hier Inge! Autogramme, Selfies, los! Wo sind denn bloß die anderen zwei?

 

Inge

Entschuldigen Sie bitte, stehen Sie hier an? Ist das die Schlange vor der Toilette? Nein? Wo ist denn dann bitte die Toilette?

Fein hat er das gemacht, der Bert, dass er uns da in diesen Zug steckt. Dann wird wohl auch er die Konsequenzen tragen müssen, wenn sich das jetzt nicht ausgehen sollte. Ich hab nur das eine Kostüm für den Auftritt heute Abend.

Wissen Sie, ist das Klo vielleicht in dem Abteil da hinten?

Der Bert sagt natürlich, die Karin hat sich davon gemacht. Das ist so eine fixe Idee von ihm. Dass die Karin sich davon gemacht hat. Dass die sich unseren Bus genommen hat, ihren Koffer reingeschmissen haben und los gefahren sein soll. Wohin denn bitte? Nachhaus? Da finden wir sie doch gleich. Ins Wochenendhüttl ins Burgenland? Zu den Eltern von der Gabrijela in den hintersten Winkel der Slowakei? Wenigstens kann dort noch jemand den Wagen reparieren, wenn er wieder hängenbleibt. Wie weit kann die kommen, die Karin, mit so einem Stück? Fallt doch auf, bitte, so eine ältere Dame in einem Surfgigolo-Bus, die sind ja auch nicht deppert, an der Grenze, natürlich fischen die die raus. Das riecht ja schon nach Menschenhandel oder nach Autoschieberei, so auffällig, wie das getarnt ist! Also bitte, das glaub ich nicht.

Die hat sich doch sicher, als wir unsere Sachen von der Bühne geräumt haben, wen angelacht und macht sich ein bisserl eine schöne Zeit. Na und soll sie nicht? Das kann sich der Bert nicht einmal vorstellen, vor lauter Neid, weil ihm das einfach nie passiert. Sie wird schon anrufen und vom Erwin erzählen, oder wie der Typ von der Bar ihr ein Gin Tonic nach dem anderen gemixt hat, oder dass der Josef im schummrigen Licht im Gasthaus doch besser ausgesehen hat als später dann, so nackert. Aber sagen hätt sie schon was können, nicht sich einfach so davonstehlen, das hinterlässt gleich was, na ungut halt. Da versteh ich den Bert schon, dass er so krude Ideen entwickelt. Hätt er ihr halt endlich ins Gewissen reden müssen, dass ihre Backroundstimme, also dass der Alt immer tiefer wird, und schief, dabei sind die Tonfolgen bei Gott nicht schwer, wir sind ja nicht die Sängerknaben, hätt er halt offen mit ihr sprechen sollen, dass sie schon das ganze Jahr so dissonant ist, mich aus dem Konzept bringt, weil wenn dir da permanent jemand hinter dir ein Fis ins Ohr plärrt, wo ein reines F sein sollt, da wünschst du dir Alzheimer, wirklich, oder eher ihr, ihr hab ich einen Krebs gewünscht, Kehlkopf, Lunge, in die Richtung, damit die mal endlich gusch ist, weil du musst ja dann vorn stehen und das weglächeln und dabei den Ton halten. Das geht auf die Kondition, und auch wenn man mir das nicht ansieht, die Spannkraft, so wie früher, hab ich halt nimmer, da irgendwen auch noch mitzuschleppen, durch die Sechzehn-Stunden-Arbeitstage hindurch, weil das kostet schon, am Puls der Zeit zu sein, dauernd. Andere aus meiner Generation, die liegen auf Kreuzfahrtschiffen herum, lassen ihre Abwässer und Körperflüssigkeiten in den Hafenstädten dieser Welt, Publikum, sagt der Bert, Publikum! Ja, die waren nie am Puls der Zeit. Vielleicht haben sie etwas richtiger gemacht.

Wenn die Gabrijela ihre Arbeit gewissenhaft erledigen würd, hätt ich die Malaise jetzt gar nicht. Hätte sie genug Einlagen auf Vorrat gekauft, müsst ich jetzt nicht den ganzen Zug auf und abrennen. Ich könnt mich da einfach hersetzen, aus dem Fenster schauen und ein bisserl ausspannen. Aber nein, die Gabrijela spart, nimmt immer nur so viel mit, wie wir für die Tour brauchen, und steckt mir nichts in die Handtasche. Als wären wir immer noch auf einem Flüchtlingstreck, wie damals, als Kinder. Ist besser, sagt die Gabriela, erhält die Spannkraft, sagt sie, wenn mans nicht einfach so durchhängen lassen kann.

 

Gabrijela

Und jetzt ist auch noch der Bus weg. Weg. Einfach weg. Gut, wird sich schon wieder finden, sag ich mir, der ganze riesen Aufruhr, den die Bellas da veranstalten, ist es doch gar nicht wert,  gleich so in das Gefühl hineinzugehen. Wie die Inge losgeheult hat wegen dem Bus, als wärs ein geliebter Mensch, der verstorben ist. Warum sich Menschen an so tote Gegenstände hängen. Also hab ich sie getröstet, auch wenn ich fast lachen musste. Die Zigarettenschachtel hab ich dann ein paar Wochen später im Badezimmer gefunden, vielleicht hat sich ja die Karin heimlich ein paar ausgeborgt und aufgeraucht und dann dort liegenlassen? Und der Wohnungsschlüssel ist auch wieder aufgetaucht, nachdem der Bert mir einen nachmachen hat lassen. „Haben wir einen Ersatzschlüssel, das ist doch Grundausstattung, bei so dementen, alten Leuten“, hab ich zu ihm gesagt, damit er ihn mir nicht auch noch in Rechnung stellt. Beim Geld wird er immer so kleinlich. Nachdem es auch noch ein Riesengeschrei gab, weil die Bellas den halben Tag allein in der Wohnung waren, unversorgt. Ich konnte ja nicht zu ihnen hinein. Er hat mir dann zum Glück doch keinen Lohn abgezogen. Nur das volle Einkaufssackerl war weg, als ich dann eine halbe Stunde später in den Supermarkt nachschauen gegangen bin. So sind die Menschen eben. Auf niemanden kannst du vertrauen.

Dabei stimmt da was mit denen schon seit Wochen nicht. Ich krieg das doch mit, ich spür das doch, dass da was im Busch ist. Aber ich lass mir nichts von denen vormachen, nur weil die glauben, na so eine Pflegerin, mit der kann mans ja machen. Na so eine aus der Slowakei, was soll die schon verstehen? Ich hab das immer gut ausnutzen können, dass die mir nie was zugetraut, dass die mich nicht einmal gscheit angesehen haben. Dass die glauben, gut, die Gabrijela läuft eh so mit, muss ja, für den Job, die braucht ja nicht viel, ein Dach, ein Essen, ein bisserl eine Ruhe am Abend und am Nachmittag so ein bisserl ein Nachmittagsfernsehen, sind ja recht anspruchslos, solche Frauen. Wie so ein Kleidungsstück, das man immer mitschleppt. Oder ein Häferl, aus dem man jeden Tag trinkt. Der Gerhard nennt mich oft Sabina, in der Früh, wenn er noch keinen Kaffee gehabt hat. Die Inge bemitleidet mich, weil sie glaubt, dass meine Mutter noch lebt und ich mich an den freien Tagen auch noch um sie kümmern muss. Der Bert glaubt immer noch, dass ich ein Kleinkind zu versorgen hab. In all den acht Jahren, die ich hier schon arbeite. Ein Kind ohne Namen. Ein Kind ohne Alter, das nicht aufhört, in einen slowakischen Kindergarten zu gehen. Und die Karin hat sich letztens erkundigt, wann das Kind maturiert. Ich hab nur gelächelt und gesagt: Bald. Und dann fährt das Kind nach Amerika, zum Studieren. Da hat sie anerkennend mit dem Kopf genickt. Gut, vielleicht ist das wirklich schon die Demenz, in einem Frühstadium, und sie wollen es einfach nicht wahrhaben. Oder nur so eine schlichte Durchschnittsignoranz. Wie bei den meisten Leuten.

 

 

 

Gerhard

Na, jetzt riech ichs doch. Meine Gummibärenwurschtmischung. So im Nachhinein, da frag ich mich ja immer, wie ich mir so einen Dreck überhaupt hab reinstellen können. In diesen Mengen vor Allem. Da kommt dann der Ekel. Zusammen mit dem Selbsthass. Aber im Moment. Da tut´s halt so gut. Das Kauen und das Nachschütten. Da schaltet sich alles ab, mein gesamtes System. Da bin ich nur noch Mund und Geschmack und Malmen und Glück. Alles andere ist dann so schön heruntergefahren. Und ich will einfach nur weiter, weiter, weiter essen. Das kann keiner verstehen. Wie gut das ist. Aber in diesen Augenblicken, da können mich dann alle mal. Da kann mich die ganze Welt. Da ist dann Ruhe. Ruhe vor dem Publikum. Der Elvis, der würd das verstehn. Bei dem waren´s halt die gegrillten Erdnussbutter-Bananen-Sandwiches. Mit denen hat der sich runtergefahren. Und ruiniert.

Scheiße, da kommt die Inge. Duck dich, Gerhard, los.

Am peinlichsten sind mir ja die Gummibärenrülpser. Aber dieses Softdrink-Teufelszeug hilft halt. Beim Wachbleiben. Beim Abliefern. Beim Gutdrauf-sein. Und die saufen das ja auch alle. Ständig drückt dir das irgendwer in die Hand! Dazu noch irgendeinen Fusel und fertig ist die Party. Der King hat ja sogar Aufputscher-Tabletterln genommen. Da bin ich ja eh harmlos dagegen. Kann mich gar nicht mehr erinnern, was ich früher immer getrunken hab. Kaffee mit Schnaps wahrscheinlich. Oder ich war noch nicht so müd. Jedenfalls, irgendwann war dann auf einmal dieser Zaubertrank da und wir sind herumgehüpft wie die Duracellhasen, stundenlang. Wie heißt denn der noch schnell, der des erfunden hat? Der wär ich ja gern. Der ist sicher ein fröhlicher Mensch, dieser Dings. Der lacht bestimmt den ganzen Tag, weil quasi alle Leut dieses grindige Drangl saufen und ihm dafür die Kohle nachschmeißen. Der lacht und dann macht er einen Köpfler in seinen Geldtresor.

Schau an,  die geht vorbei, die Inge. Die sucht gar nicht mich.

Aus Scheiße Geld machen. Das respektier ich wirklich. Hearst, wie heißt denn der schnell? Wird mir jetzt nicht einfallen. Aber der Dings, der müsst man halt sein. Dann hätte man ausgesorgt. Und könnte nach Palm Springs ziehen. Wie der King. Kurz hat es für uns ja auch einmal gut ausgeschaut. Und lukrativ. Mit diesem Hit. „Sweet Nico San Marino“. Schöner Titel auch. Ist der Karin eingefallen. Würd man gar nicht für möglich halten. Wie kreativ die ist. Die hat schon was zu sagen. Wenn sie sich mal traut, den Mund aufzumachen. Macht sie leider viel zu selten.  Apropos. Wo ist die eigentlich?

 

Inge

Wir, ja wir sind auf jung gebucht, wir sind die Avantgarde, ja, im Schlager, da ist die Zukunft zuhause, da brauchst du nicht anfangen mit Experimental Noise oder Cross over Jazz, wir sind die Zukunft, weil genau so ist das, wenn du Leistungsträgerin bist, da sieht meine vierzigjährige Nichte Sophie alt aus dagegen, du wirst gebraucht, du wirst nachgefragt, du

bist unabkömmlich, und erst dann, wirklich erst dann, wenn deine zehnte Pflegerin schon durch ist, das Gehirn zu neunzig Prozent verkalkt und die Hüfte zweimal ausgetauscht, dann hörst auf zu arbeiten und legst dich hin zum Sterben. Der Gerhard sagt, ich rede mir das schön. Vielleicht. Er macht es für das Geld, weils sonst in der Wohnung im Winter kalt ist und Kartoffeln mit Butter auf Dauer die Haut trocken machen. Gut, da kann man schwer was dagegen sagen. Ich hatte ja auch hochfliegendere Träume als meine Altersarmut.

 

Bert

Mit den neuen Kostümen, den modernen, glamourösen, hätten wir bestimmt auch noch Instrumente dabei. Das könnten wir uns dann leisten. Weil wir Klasse hätten. Und bessere Gagen. Ein Keybord hätten wir dann vielleicht. Und ein kleines Schlagzeug. So wie früher. Ja, das wär schon was. Allein schon, damit wir den bladen Gerhard hinter dem Keyboard verstecken könnten. Wär kein Fehler.

Für Sie ein Autogramm? Ein Selfie mit der Sängerin? Oho, ein Busserl sogar, na Sie sind ja ein Schwerenöter!

Andererseits müssen wir so keine Instrumente schleppen. Würde eh keiner mehr schaffen von uns. Da bräuchten wir dann Roadies. Und das gäb dann nur noch mehr Ärger. Mit diesen tätowierten Typen im Schlepptau auf den diversen Dorffesten auftauchen. Das passt ja so gar nicht zu unserem Image. Da schau ich schon drauf. Also auf das Image. Klasse haben wir immer, trotz allem. Und bestimmt keine Tätowierungen. Obwohl heutzutage. Wenn du so ins Publikum schaust. Die sind eh auch alle tätowiert. Sogar die Mütter. Da glaubst du manchmal, die haben ein Leiberl an und dann ist das alles eine große Tätowierung. Ich muss dann immer aufpassen, dass ich nicht zu sehr hinstarr. Aber arg find ich das schon. Das sind alles so fesche Frauen und dann so eine Verschandelung. Daneben immer irgendein stiernackiger Typ. Landjugend heute. Aber die brauchst du. Das ist die Zukunft. Das junge Publikum.

 

Gabrijela

Was hätt ich ihnen alles erzählen können, hätten sie einmal gefragt. Dass mich meine Mutter früh schon dem Vater in der damaligen Tschechoslowakei überlassen hat, um in Prag eine Ruh zu haben? Dass ich deswegen immer schon auf mich selbst schauen hab müssen, dass ich mir früh schon die kleinen Träumereien von einem besseren Leben abgewöhnt hab? Dass ein Kind angesichts dieser Arbeitsbedingungen natürlich nie drin gewesen ist? Wer hätte denn auf das schauen sollen? Weil das Kind abschieben, so wie sie mich abgeschoben haben, nein, das wollt ich nicht. Und dass das vielleicht etwas ist, was ich nicht bereut hab? Dass ich alles in allem ganz gut vor mich hinleb, was man ja von keinem der vier sagen kann, schaut man einmal genauer hin, auch wenn sie das so nie zugeben würden. Vielleicht hätt ich auch gar nichts erzählen wollen, hätte einer von ihnen nachgefragt. Ich mag es nicht, wenn Leut in ihrer Arbeit so persönlich werden, ohnehin ist es in diesem Beruf schwierig, die Grenzen zu wahren. Ein Glückstreffer, hab ich am Anfang gedacht. Besser als so ein dementer, schwerhöriger Mensch in irgendeinem gottverlassenen Dorf, wo du den ganzen Tag keine Ansprache hast, mit dem du dich herumgefretten musst, der vielleicht auch noch schreit in der Nacht. Besser gleich drei von denen in halbwegs agiler Form, die Bellas, das klingt ja schon flott. Der Bert hat mich angeheuert. „Tourst ein bisschen mit uns von Dorf zu Dorf“, hat er zu mir gesagt, „kochst ihnen ein gutes Essen, damit sie dann auf der Bühne noch einmal aus sich herausgehen, legst sie nach den Konzerten schlafen, kommst ein bisserl herum, kannst sogar ab und zu tanzen.“ Dann hat er mich angesehen mit so einem prüfenden Blick, so, wie er wahrscheinlich an seinem Merchandising-Standl steht und Ausschau hält nach ein paar Willigen, denen er seine Schallplatten andrehen kann. „Gehen noch selbst aufs Klo, stecken sich das Gebiss in der Früh eigenständig in den Mund, sind die meiste Zeit handzahm. Und auf der Bühne, ich sags dir, da drehen sie immer noch auf.“ Dann hat er plötzlich seinen Arm um mich gelegt und zu singen angefangen, „Geh heut nicht ins Casino, Sweet Nico San Marino, bleib heut doch einfach hier, ein Busserl geb ich dir.“ Vielleicht ist ja auch dann und wann eine nette Bekanntschaft dabei, hab ich mir gedacht, bei diesen Konzerten, kann man das ausschließen, immerhin hab ich mich gut gehalten, alles so straff, wie es eben geht, und warum soll man etwas anbrennen lassen? Da hab ich den Vertrag sofort unterschrieben und gehofft, dass die mir nicht gleich unter den Händen wegsterben. Dass die Karin über die Jahre immer anlassiger und aggressiver wird, wenn sie getrunken hat, dass ich mich ständig wehren muss, gut, das war so nicht vorauszusehen. Wenn sie weiter so trinkt, ist es mit der Leberzirrhose ohnehin nicht mehr weit. Sonst hau ich ihr irgendwann eine rein.

 

Gerhard

Gott, ist mir schlecht grad. Ich muss mich dringend auf irgendwas anderes konzentrieren. Aber mir fallt nix ein. Rausschauen geht nicht. Scheiß Spiegelung. Vorher hab ich mich richtig erschreckt, vor dem Typen da im Fenster. Bis ich gecheckt hab, dass ich das bin. So fühl ich mich überhaupt nicht. So wie der aussieht. Fett. Und alt. In mir drinnen, da bin ich immer noch, naja, so um die fünfzig vielleicht? Voluminös, klar. Stark war ich immer. Ein echter Kerl eben. Massig, respekteinflößend. Aber das, was mir da entgegenblickt. Das bin ich auf keinen Fall.

Ob´s dem Elvis da auch so gegangen ist, also mit seinem Spiegelbild? Der hat ja am Ende so um die hundertzwanzig Kilo gehabt, sagt man. Ob der sich noch wiedererkannt hat? Und der war ja erst zweiundvierzig. Nicht so wie wir.

Im Winter des Lebens angekommen sein. Das hab ich letztens irgendwo gelesen. Da klang das Altwerden so richtig poetisch, bei irgend so einem in die Jahre gekommenen Schriftsteller-Sack. Kann sich der anscheinend leisten, so eine Alterspoesie.

Unsereiner kann da halt weniger Romantik erkennen. Da steht eher die Winterangst und winkt fröhlich herein, mit ihren Geschenken: Verfall, Existenzangst und Schmerzen. Das kann sich ja keiner vorstellen. Vor allem kein junger. Hab ich auch nicht können. Aber auf einmal ist das alles da. All diese Malaisen, wo du glaubst, das renkt sich eh von selber wieder ein, das wird schon wieder aufhören, so wie früher immer. Aber nein, das bleibt dann und wird ein Teil von dir. Macht dich windschief, müde und gibt dir so einen verbissenen Gesichtsausdruck. Ich kann mich noch erinnern, die Mutter, die hat ja ab einem gewissen Zeitpunkt immer nur noch vom Sterben geredet. Jetzt würd ich da ein bisserl empathischer reagieren. Aber was soll´s. Rosa Cadillac hab ich ihr ja auch keinen hingestellt.

 

Inge

Und dann frag ich mich schon, für was wir diesem Virus das bisschen Leben abgetrotzt haben. Um ihnen eins auszuwischen, den Jungen, die sich gefreut haben, dass da so ein Virus einmal durchputzt, die ganzen Mehrkosten hinwegrafft. Einsperren, haben sie gesagt, einsperren, aus Fürsorge, damit die Alten aus dem Sichtfeld sind. Soll der Virus die schimmeligen Wände hochkriechen und sie dort alle langsam ersticken. Wo es keiner sieht. Vor allem die Armen. Die sind eine Last. Und die vor den EU-Außengrenzen. Die wollen wir schon gar nicht. Ein Outdoorersticken quasi. Eine unsichtbare Hand ist über Europa hinweggegangen und hat die paar armen alten und kranken Seelen eingehen lassen ins ewige Reich. Und dann, wenn die Kühlzelte für die Särge wieder abgebaut und die Feldbetten im Notlazarett wieder zusammengeklappt sind, krempeln wir die Hemdsärmel hoch und kurbeln unsere Wirtschaftsleistung in davor unerreichte Höhen.

 

Bert

Wie, Sie kennen die Bella Ciaos nicht? Mein Herr, darf ich Ihnen diese CD empfehlen? Da sind die größten Hits versammelt. Da wird sofort der Groschen fallen! Sie können mitsingen, das versprech` ich Ihnen, bei jedem Song! Alles Hits!

Meistens sinds halt nur die Alten, die da ganz vorne mitklatschen bei uns und singen. Da wachsen keine Fans mehr nach. Manchmal mach ich mir richtig Sorgen. Wenn die sich so verausgaben, unsere Fans. Sich kurz aufbäumen, gegen die Umstände, vor der Bühne. Und irgendwann fällt mir dann auf, dass wir auch nicht jünger sind als die. Die halten dir den Spiegel vor. Die erzählen dir was von windschiefen Körpern, von Rollatoren, Glatzen und schlaffem Gewebe. Mit ihrer Anwesenheit. Schlagartig verwandeltest du dich von einem coolen Typen on the road in einen Greis in Lederjacke. Wirst Teil dieser grauen Masse, die keiner mehr ernst nimmt. Was heißt, wahrnimmt. Irgendwann, ganz unbemerkt, da beginnst du zu verblassen. Auf einmal wirst du übersehen. Keiner nimmt da mehr Notiz von dir. Aber das Arge ist ja: in dir drinnen. Da bist du immer du. Ein Typ in seinen besten Jahren. Aber nach außen hin: bist du weg. Ergraut und ausradiert. Die reden auch anders mit dir. Wie, wenn du nicht mehr ganz zurechnungsfähig wärst. Bei den Verhandlungen zum Beispiel. Die wundern sich dann richtig. Wenn da was zurückkommt von dir. In ganzen Sätzen. Das halten die gar nicht aus. Wenn ich da eine vernünftige Gage verlang. Und menschliche Rahmenbedingungen, für meine Stars. Alt sein, das provoziert diese Veranstalter und Booker immer irgendwie. Die tun so, als wär das eine schwere Krankheit. Ein persönliches Versagen von uns. Die wollen ein Leben ohne Negativität, ohne Schmerzen, Krankheit und Vergänglichkeit. Aber da sind sie bei einem alten Hasen wie mir an der falschen Adresse. Hat eben auch Vorteile, so eine Lebenserfahrung.

 

Inge

Und da steht man und singt ihnen was vor. Aus schierem Trotz, überlebt zu haben. Und sie beklatschen uns, wie sie uns davor beklatscht haben. Na gut, sing ich halt wieder. Freut man sich, wenn man nach der Zwangsquarantäne in den ermüdenden Alltag zurückkehrt und alles seinen gewohnten Lauf nimmt? Sollte man sich nicht eher fürchten?  Wenn ich noch irgendetwas spüren würd, würd ich mich lieber freuen. Lässt die Tage schneller vergehen. Die Karin hat das schon ganz richtig gemacht. Wär ich ein Stück mutiger, hätt ich den Bus genommen. Ich hätt die Gabrijela dafür gewinnen können. Die hat sicher Lust auf die Welt. Was wird die schon gesehen haben in ihrem Leben, das sich zwischen Banska Bystrica und dem Waldviertel schief aufgehängt hat? Die wandert zwischen Falten, überhängenden Hautlappen, Speichelfäden und Nachmittagsfernsehen herum, so wird das gemacht, mit den osteuropäischen Frauenkörpern, die sind ja da sehr ausdauernd. Ich hätt ihr das vorschlagen können, und wir wären jetzt schon fast an einem Strand. Nordsee vielleicht, dort drückt die Hitze nicht so, oder auch eine schöne Atlantikdüne. Ich hätt ein Foto von ihr gemacht, das hätte sie ihrer Mutter schicken können, die hätte dann Augen gemacht. Wie heißt die gleich? Wahnsinn, wie man verkalkt, ist nicht schön, das an sich selbst so mitanzusehen. Zwanzig Mal am Tag redet die Gabrijela doch von ihrer Mutter, gibt’s das jetzt wirklich? Na wird mir schon einfallen. Wir hätten mit unserem Alltag gebrochen, wir hätten einmal aufgeatmet und gelacht und nicht an die Kostüme gedacht und das Makeup und das krampfhafte Lächeln und das Einsingen. Wir hätten das alles einmal schleifen lassen. Nicht wie in der Zwangsquarantäne, wo uns die Gabrijela in unserem Hausgewand vor eine Playstation gesetzt hat,  zur Förderung der geistigen Spannkraft, wie sie sagte. Auf dem Tisch ein Schüsserl Apfelkompott und ein paar Biskotten. Da ist der Gerhard panisch geworden. So eine richtige Panikattacke, mit Herzrasen und Atemnot, dass wir vor lauter Schreck dachten, jetzt hat ihn der Virus gepackt. Ich bin mit meinem Sessel gleich einen Meter von ihm weggerutscht. Keine Chance, da noch den Joystick zu erreichen, der auf dem Tisch lag. Aber ich mochte das Spiel ohnehin nicht. Das sei wie im Heim, hat der Gerhard geschrien und an seinem Kragen gezerrt, wir sind doch keine Alzheimers, was das soll, Zähne habe er auch noch alle, er vertrage Äpfel sehr wohl ungekocht und im Ganzen, und dieses verblödende Gedudel zerre an seinen Nerven. Der Bert hat ihn beruhigt und versprochen, dass wir gleich wieder mit den Bandproben anfangen könnten, da hat sogar die Gabrijela laut aufgelacht, in all den fünfzehn Jahren, in denen sie uns nun pflegt, habe sie uns noch kein einziges Mal proben gehört. Das hat den Bert beleidigt, weil er doch immer unsere Professionalität herausstreicht.  Die Tatsache, dass das Repertoire bei den Auftritten seit Jahren immer das gleiche sei, sogar in der Abfolge der einzelnen Nummern, hieße nicht, dass wir nicht im Herzen frisch geblieben wären. Aber die Gabrijela war so beschäftigt, den Gerhard zu beruhigen, dass sie sein Sudern gar nicht wahrgenommen hat. Womit man im Leben alles gestraft wird. Ich habe das einfältige Autorennen auf der Playstation natürlich gewonnen, so unaufmerksam, wie die anderen waren, alle Bonuspunkte einkassiert, mein Fahrzeug getuned und auch meine Figur mit allerlei Features verbessert. Soll sich so ein Virus nur trauen, uns noch einmal in die Knie zu zwingen, ich bin gerüstet, ich bügel die alle nieder.

 

Bert

Sie nehmen eine Platte? Sehr gerne, viel Freude damit, was dürfen wir denn draufschreiben? Inge, hier, einmal „für Susi“ bitte!

 

Gabrijela

Ich hab mir damals nicht vorstellen können, was das heißt, auf die Langstrecke, dauernd so umherzuziehen, ständig von hier nach da, wie das auf die Substanz geht. An meinen freien Tagen sitz ich die meiste Zeit in Bratislava auf meiner Couch und schau der Topfpflanze zu. Wie sie einfach nur dasteht und nichts macht. Wie man sich so langsam verliert, wenn man ständig zwischen zwei Orten hin und her pendelt und vergisst, wo man zuhause ist. Wenn du dein Leben in einem Minibus verbringst, der zwischen zwei Provinzen hin und herfährt, vor und zurück, ohne an einem Ort anzukommen. Im Hintergrund die Geschichten der anderen Pflegerinnen, immer dasselbe, die Erschöpfung, die Übergriffe, das Verlassensein, das Vermissen. Das stille Weinen und die dumpfe Wut. Ich erzähl ihnen nichts von den Konzerten, den Playstationabenden, oder dass ich mit der Inge ab und zu einen drauf mach, wenn der Bert, der Gerhard und die Karin schon im Bett sind. Dass ich die Inge wirklich irgendwie mag, vor allem, wenn sie ein bisschen getrunken hat, ein bisschen weicher wird und ihre Starallüren vergisst. Dann fühlt es sich an, als ob sie für einen kurzen Moment nicht durch mich hindurchsieht.

 

Inge

In dieser einen Nacht, da hat der Gerhard geschlafen, wie ein kleines Kind, mit einem ganz unschuldigen Gesicht. Auch die Gabrijela wirkte sehr friedlich, auf die Seite gerollt, die Beine leicht angezogen. Die Karin schnarchte laut auf dem Sofa im Wohnzimmer, der Bert atmete geräuschvoll auf seiner Isomatte zu Füßen von der Karin. Wie ein Jugendlager, nur die Stockbetten haben gefehlt. Ich war voller Neid. Die Angst hatte sich festgefressen in meinem Kehlkopf,  kein Auge konnte ich zumachen. Wie auch? Wie ich mir das vorgestellt hab, wie das Virus sich reinfrisst, in meine Lungenwand, und dort alles verstopft, sodass nur so ein ersticktes Röcheln zu hören ist, ganz unbemerkt von den anderen, mit ihren tiefen, sorglosen Atemzügen. Bis dann die Bewusstlosigkeit einsetzt, weil die Sauerstoffsättigung längst schon unter fünfzig Prozent gefallen ist. Und wie das Notarztteam dann unser Jugendlager stürmt und erleichtert ist, dass ihnen die Triage abgenommen worden ist, dass es schon entschieden ist, dass es ohnehin schon zu spät ist. Dass sie mich da liegenlassen können, mit ein bisschen Morphium, Gnadentod quasi. Weil hätten sie mich mitgenommen? Hätten sie überhaupt wen von uns mitgenommen? Die Gabrijela wahrscheinlich, weil sie noch so jung ist. Hätt ich auch, ist ja eine ganz sympathische Frau. Den Bert, mit seinem Diabetes? Oder den Gerhard, mit seinem Übergewicht?  Das hätten sie sich wohl überlegt. Die Karin, die hätten sie wahrscheinlich auch gerettet, die hat ja trotz ihrer achtzig ein so aufgewecktes Mädchengesicht. Wie ich dann jedenfalls so vor mich hin erstickt wär, ohne die anderen weiter zu stören. Und, hab ich mir gedacht, wär das so tragisch gewesen? Natürlich, Herzinfarkt im Schlaf oder so ein ganz ein schneller Autounfalltod, das wär mir natürlich schon lieber, wenn ich mirs aussuchen könnt. Aber nun gut, ich steh wieder und sing, Singen hält ja die Lunge kräftig.

Sagen Sie, hätten Sie vielleicht? In Ihrer Tasche? Ich geb Ihnen auch gern ein paar Cent dafür, ist doch selbstredend, dass ich mir keine Einlagen ausborg und dann zurückgeben mag. Nein? Wären Sie vielleicht so nett?

 

Bert

Und dann kommen halt die Bellas auf die Bühne. Versuchen eh immer, sich ihr Alter nicht anmerken zu lassen. Betont lässig aufzutreten. Da schauen dann alle. Mit so einer Mischung aus Mitleid und Fremdschämen. Aber nur solange, bis die Bellas mit ihrer Show anfangen. Weil spätestens nach dem zweiten Song, da klatschen dann alle mit und singen. Dann haben wir es wieder geschafft. Eine Transformation vor und auf der Bühne. Das macht was mit mir, auch noch nach all den Jahren. Muss ich zugeben. Es rührt mich. Dass die drei da immer noch so eine Kraft haben. Dass es da immer noch funkelt. Dass ich mich in ihnen nicht getäuscht habe.

 

Gerhard

Ich find`s schön, dass der Bertl eine Art Heimat bei uns gefunden hat. So einen Absprung, den muss man erst mal schaffen. Das Handwerk, den „goldenen Boden“ einfach so hinter sich zu lassen, für ein Leben on the road. Ohne den Herrn Vater. Dafür mit der feschen Inge. Aber dass das mit denen noch was wird, so alt können die gar nicht werden, bis der Bertl sich da mal trauen würd, was zu sagen. Selbst Kryoschlaf tät da nix helfen. Aber auch das. Irgendwie rührend. Hat mir eh auch leidgetan für ihn. Wie wir damals kurz was hatten, die Inge und ich. Aber hey. Der Elvis hat ja auch nie was anbrennen lassen. Also. Hab ich genossen und geschwiegen. So wie es der King gemacht hätte.

 

Gabrijela

Dass der Gerhard immer so seltsam lange aufbleibt, das ist mir natürlich aufgefallen. Ich hab mir am Anfang nichts dabei gedacht, wer weiß schon, was so ein Biorhythmus für Phasen durchmacht, vielleicht ist er so unausgelastet, weil die Bellas ja lang nicht auftreten konnten, wegen dem Virus. Das kann einen Menschen schon verrückt machen, Existenzangst, das hört bis zum Sarg nicht auf. Das war ja keine leichte Zeit, als wir so eingesperrt waren. Die halbe Nacht hör ich ihn in seinem Zimmer rumoren. Da sitzt er, im Bildschirmlicht von seinem Computer, tippt und wühlt in seinen Zetteln herum, also ein Porno wird das nicht sein. Was der da treibt? Sogar die Karin, die sich sonst nie für die anderen interessiert und meistens mit ihrem Handy in einer Ecke sitzt, ist in einer Nacht nachschauen gegangen. Der Gerhard hat sie schnell aus dem Zimmer gescheucht, wie wenn er was zu verbergen hätte. Als sie ihn in der Früh darauf angesprochen hat, hat er eine Mordsszene gemacht, der Bert hat ihn gleich in Schutz genommen und etwas von Privatsphäre schwadroniert, die halten natürlich wieder zusammen. Die Inge hat nur verächtlich gelacht und zu singen begonnen. „Ich mach dir ein Bambino, Sweet Nico San Marino, die Liebe schenk ich dir, komm zahl mir noch ein Bier.“ Also eigentlich ganz klar, dass die irgendetwas gemeinsam aushecken.

 

Gerhard

Unerträglich ist das grad. Wie das juckt. Das ist der Glitzer. Der scheuert dir die Haut auf. Ich hab da schon einen richtigen Schorf. Einmal rundherum. Wie ein Halsband. Oder, haha, ja genau, wie ein Strick. Immer etwas um den Hals: zum Männchen machen oder Aufhängen, je nachdem. Was halt grad gewünscht ist. Vom Publikum.

 

Bert

Ein Leiberl? Bitte schön, Größe Large, selbstverständlich, na das steht Ihnen ja ausgezeichnet, wie für Sie gemacht, die Dame. Ach vom Gabalier haben Sie auch eins, na gratuliere, zu Ihrer Sammlung, das ist ja wunderbar, dass Sie die Bellas jetzt auch im Schrank haben, meine Liebe.

Diese drei, die hatten immer schon das gewisse Etwas. So ein Strahlen. Da war Star-Potential. Ich wollte die berühmt machen. Ich wollte, dass die anderen sehen, was ich sehe. Und empfinde. Und okay, ich wollte ins Showbiz. Das war einfach die Gelegenheit. War ja auch besser, als beim Vater weiter im Betrieb zu hackeln. Bei dem gschissenen alten Nazi.

Und Lächeln, „Cheeeese“ wie der Amerikaner sagt, so ists fesch!

 

Inge

Na bitte. Das hat der Bert jetzt davon. Wie soll ich jetzt aufstehen? Wie sieht denn das aus? Trocknet das wieder? Nie ist die Gabrijela da, wenn man sie braucht.

Entschuldigen Sie, hätten Sie vielleicht ein Taschentuch?  

 

Bert

Müd bin ich grad, muss ich sagen. Und den Rücken spür ich. Von dem ewigen Kistenschleppen. Denkt ja keiner dran, dass man die ganzen Schallplatten herumtragen muss. Ohne Merchandise läuft ja heutzutage gar nichts. Da machst du dann das Zusatzgeschäft. Den Gewinn. Kauft sogar noch wer was, wie man sieht. Also von den älteren halt. Die jungen Leute haben damit aufgehört, Tonträger zu kaufen. Ich versteh nicht ganz warum. Vielleicht hören die gar keine Musik mehr, so zuhause? Jedenfalls nicht unsere, wie es ausschaut. Dabei brauchen wir diese Zusatzeinnahmen wirklich dringend. Die bezahlen doch das Benzin, die Wohnung, die Gabrijela, alles. Essen bekommst du ja zum Glück vom Veranstalter. Darfst halt nicht wählerisch sein. Aber ich mein, wer schon einmal Essen auf Rädern abonniert hatte, der kann sich über den Zeltfestfraß eh freuen. Am Schlimmsten sind die Cremesuppen. Oder dieses traurige Beilagengemüse, in den undefinierbaren, grauen Soßen, wo dann ein Stückerl Fleisch drin schwimmt. Da kriegst du schon Durchfall, wenn du nur die Plastikhülle oben abziehst. Obwohl. Was nett ist, so zu den Anlässen, da gibt´s dann immer was aus Schokolade. Zusätzlich. So einen Osterhasen oder einen Weihnachtsmann. Das rührt mich immer ein bisschen. Dass die an so was denken, wirklich aufmerksam. Ich geb dann meine Schokofiguren immer der Gabrijela. Damit die was hat, was sie mitbringen kann, bei ihren Heimaturlauben. So eine Schokolade, die kennen die gar nicht, denk ich mir dann immer. Das ist schon was Besonderes. Aber für die Gabrijela geb ichs gern. Weil ich glaub, die hat da noch ein Kind, also bei ihr zuhause, dort in der Slowakei. Oder Slowenien? Ich merk mir das nie. Eh peinlich. Aber was solls. Man verkalkt halt.

 

Gabrijela

Dass die Karin verschwunden ist, das hab ich einfach nicht bemerkt. Wenn sie nüchtern ist, ist sie ja auch so unauffällig. Da kann das schon passieren, dass das so unter dem Radar bleibt. Den anderen ist es auch nicht aufgefallen, ich muss mir also gar keinen Vorwurf machen. Irgendwie haben alle die Karin vergessen. Seit ein paar Jahren. Nur die Inge jammert manchmal über sie, nach einem Auftritt, und reibt sich dann die Ohren. Da hört niemand mehr hin, so ein Ritual ist das geworden. Gesagt hab ich natürlich nichts, ich werd ihnen doch keinen Grund liefern, mich zu feuern. Weil streng genommen wäre das schon eine schwere Verletzung der Aufsichtspflicht. Auch wenn es keine Kinder sind. Wie sie behaupten. Ich mein gut, es passiert ständig, dass so Alte ausbüchsen und dann wie frei laufende Hendl wieder eingefangen werden müssen, an irgendeiner Kreuzung, im nächsten Dorf. Aber dass das mir passiert. Ich hab noch nie einen Dementen verloren. Vor allem, weil wir ja gar nicht wissen, wo sie steckt. Die Bellas weigern sich ja, so ein Armband zu tragen. Passt nicht zu den Kostümen, sagen sie, schädigt das Image. Das haben wir jetzt davon. Das Aufladegerät von ihrem Handy liegt in ihrem Zimmer, es wird für die Karin also schwer werden, sich von sich aus zu melden. Vielleicht ist sie wirklich zu ihrer Tochter gefahren, wie der Gerhard behauptet. Die Inge bezweifelt ja, dass die Karin Kinder hat, aber wer kann das schon sagen. Ich hoff, die Tochter gibt’s und sie ruft uns an. Der Bert denkt sich wahrscheinlich, dass die Gage dann durch weniger Leute geteilt werden muss, und es gar nicht so stört, wenn die Hintergrundstimme fehlt. Nur dass der fesche Aufputz durch ihr schönes Lächeln weg ist, das ist natürlich nicht so gut für den Gesamteindruck vom Auftritt. Aber das fällt ja dann trotzdem alles auf mich zurück, dass ich meine Arbeit nicht sorgfältig mach, wenn da plötzlich eine fehlt. Und was ist, wenn ihr was passiert ist? Wenn sie Hilfe braucht? Wenn sie nicht mehr nachhause findet? Gut sag ich mir, vielleicht liegt sie ja einfach irgendwo angesoffen herum, rappelt sich dann wieder hoch und kommt zurück. Aber schön ist das auch nicht.

 

Bert

Ballsäle will ich. Kreuzfahrtschiffe. Die schönen Galas. Und nur eigene Songs spielen. Ich find ja, nur Eigenkompositionen haben Klasse. Eine Coverversion höchstens mal zur Zugabe. Wenn du anfängst, mit diesem Covern, dann hast du aufgegeben. Also meine Meinung.

Klar können wir eine kleine Kostprobe geben. Inge, einmal den Refrain für die Kamera! Da drüben, für die Dame, die würd sich so freuen!

Wenigsten muss ich heut nicht fahren. Auch einmal sitzen und aus dem Fenster schauen. Wie sonst nur immer die Band. Ich hab die Bellas bestimmt schon einmal um die ganze Welt chauffiert. So in Summe. Also mindestens. Wie weit ist das eigentlich? So einmal um den ganzen Globus rundherum? Keine Ahnung.

Ja wir haben auch Feuerzeuge und Tassen mit den Bellas drauf, gerne, der Herr! Zweimal? Bitteschön! Ein wunderbares Geschenk! Eine gute Wahl!

Und so vergeht die Zeit. Und du arbeitest und rackerst und wartest, dass es endlich wieder anfängt, das schöne Leben. So wie damals. Als es kurz möglich schien. Die Galas. Die Empfänge. Die großen Schiffe und die Shows. Das Auto und der Chauffeur. Dabei liegts doch wirklich nur an den Kostümen.

 

Gerhard

Wenn man die allerletzten Illusionen über sich verlieren will, dann muss man sich nur unsere Gabrijela anschauen. Der Widerwille, der steht der tapferen Frau manchmal direkt ins Gesicht geschrieben. Da spiegelt sich alles wider, die ganze Wahrheit über unsere Truppe. Aber was soll`s. Fürs Lügen wird sie ja nicht bezahlt, sondern fürs Kümmern. Und da gibt’s ja allerhand zu tun. Auch wenn es keiner zugeben mag. Wie die Inge zum Beispiel. Dass die immer noch Highheels trägt und täglich ihre komische Gymnastik macht, das ist so ein Witz. Überhaupt. Wie wir alle riechen. Diese Ausdünstungen. Medikamente und Urin. Das kann man fast schmecken. Das umhüllt uns. Wie früher der Bier-Atem vielleicht. Wenn du mich fragst, gibt es gegen Alter und Schirch ja nur ein einziges Gegengift. Klar, manche versuchen es mit Intervallfasten oder Beauty-Ops. Träumen vom Transhumanismus und irgendwann wird sich die Menschheit das Altern bestimmt wegoptimiert haben. Aber bis es soweit ist, gibt es nur ein Mittel, das dich für immer und für alle jung und schön sein lässt. Und das ist meiner Meinung nach Geld. Talent, ein freier Geist, Charisma, Liebe, das sind alles wunderbare Illusionen für die jungen Leute. Die sollen da gerne dran glauben.

 

Gabrijela

Der Bert hat jetzt so Junge. Seit einem halben Jahr managt er die, heimlich, und glaubt, ich krieg das nicht mit, dass er da so ungeniert auf ein anderes Pferd setzt. Sich für die Zukunft absichert. Man braucht ja nur eins und eins zusammenzählen, er versteckt die Unterlagen auf seinem Schreibtisch nicht einmal, und manchmal summt er sogar eines von diesen Liedern. Weil wer sollte denn sonst solche Kostüme anziehen, wie sie da auf den Fotos sind. Der Gerhard jedenfalls passt da nie im Leben hinein. Dass das den andern nicht auffällt. Der Gerhard würd das nie verkraften, wenn er das erfährt. Wenn der Gerhard überhaupt irgendein anderes Lebewesen mag auf dieser Welt, dann ist es der Bert. An dem hat er irgendwie einen Narren gefressen. Was die dem Bert auch an Anteil überlassen, das wär sonst ja gar nicht akzeptabel, sich so ausnehmen zu lassen. Ob die Inge das überhaupt weiß? Gut, ich muss mich dann auch umschauen, niemand mag gern seinen Job verlieren, aber das ist schon geschmacklos. Man kann doch wirklich warten, bis alle verstorben sind.

 

Inge

Was hat der Gerhard vor dem Auftritt eigentlich so lange draußen beim T1 gemacht? Jetzt kommt mir das erst. Und der Bert ist auch öfter raus nachschauen gegangen. Dauernd war der  Gerhard am Telefon, hat aufgeregt geredet, ich hab mir nichts dabei gedacht. Das kennen wir ja, dass er so agitiert ist. So eine Visitenkarte war letzte Woche unter dem Scheibenwischer. Ob wir unseren Gebrauchtwagen nicht verkaufen wollen. Alles in bar, und keine schlechten Preise. Da hätt es doch gleich bei mir klingeln müssen. Die Doku, die die Gabrijela letzte Woche am Abend geschaut hat. Geldwäsche. Ja. Schwarzgeld aus dem lateinamerikanischen Kokainhandel, die müssen ja auch nicht sparen. Die können da ganz großzügig sein bei ihrem Autokauf. Kleine Mittelsmänner sammeln die Autos und schiffen sie in Antwerpen ein. Von dort geht es den ganzen Weg bis nach Benin, Autoexport für den afrikanischen Markt. In der schweißtreibenden Hitze Westafrikas wandelt sich das schmutzige Geld in sauberes Geld. So kann es dann ganz legal nach Bogota zu den Drogenkartellen rücküberwiesen werden. Der Bert war auch ganz fasziniert davon. Der Hafen von Benin, ein riesiges Frachtschiff legt am Kai an. Zigtausende von Gebrauchtwagen, unser schöner T1 mitten drin, wie er da aus dem Stahlbauch des Frachters in die Gluthitze hinausrollt, wie er dann von irgendeinem schlecht bezahlten Arbeiter abgestellt und weiterverkauft werden wird. Dass sich der Gerhard auf so etwas einlässt. Gut, Bargeld, das kann ich verstehen. Die Altersarmut drückt auf die Moral. Aber all unsere Erinnerungen, die in diesem Wagen leben, die von unserem Geruch vollgesogenen Vorhänge, die hitzigen Diskussionen, der betrunkene Sex auf der Rückbank, die Auseinandersetzungen am Fahrersitz. Gerade jetzt, wo wir nicht mehr eingesperrt werden, verhökert er den Bus für ein paar läppische Tausender, jetzt, wo wir wieder ganze Mehrzweckhallen füllen, mehr als davor, weil die Menschen so ausgehungert sind, weil sie die Wärme spüren wollen, die körperliche Nähe der vielen anderen aus dem Leim gegangenen, verschwitzten Leiber, wo sie unsere Konzerte stürmen und im Takt mitschunkeln. Jetzt steht der Bus in einer Schlange in Antwerpen und wird auf den Frachter geladen. Fährt ohne mich nach Benin. Dabei wollt ich immer schon weg von hier. Weit weg. Wär das nicht schön dort?  Wenn unser Bus noch eine Chance bekommt, auf ein anderes Leben, könnt ich nicht auch noch einmal, also raus aus meiner Haut?

 

Bert

Zum Glück gibt´s den Fasching. Und diese ganzen Dörfer, die immer noch unverdrossen irgendetwas feiern. Ihre Feuerwehr oder ihre Gründung. Ihre Burg oder ihren Trachtenverein. Obwohl doch angeblich alle in die Stadt ziehen. Aber zu den Festen sind sie pünktlich wieder da. Solang kann die Leine gar nicht sein. Irgendwann zieht´s die wieder zurück. Zum Glück, denk ich mir da immer, bin aus Wien. Vor allem jetzt, so im Alter. Muss man sagen. Wenn dir fad ist in der WG, gehst in ein Tageszentrum und hast immer eine Ansprache. Das ist schon viel Wert. Der Gerhard verwehrt sich da ja immer mal mitzukommen zum Kartenspielen. Klar, der hat halt auch die Wetti-Tant. Aber die Typen, die da so rumhängen, die sind nicht mein Fall. Lauter Strizzis irgendwie. Immer mit einem Fuß im Kriminal, kommt mir vor. Aber gut. Der Gerhard hat ja früher auch nix anbrennen lassen. Einmal wär der ja fast im Häfn gelandet, wegen dieser Autogschichte. Ein wilder Hund war der. Hätte man ihm ja nie zugetraut. So harmlos, wie der immer gewirkt hat. Aber so sinds halt, die stillen Wasser. Braucht man sich ja nur die Karin anschaun. Wie die früher immer rot geworden ist, bei jedem Auftritt. Hat immer drei, vier Lieder gebraucht, bis das wieder abgeflaut ist. Ganz unglücklich war sie deswegen. Camouflage hab ich ihr extra kaufen müssen. Zum Abdecken, damit das keiner sieht. Wie sie rot wird. Kein Problem. So was hab ich gern gemacht. Das Beste aus den Bellas rausholen. Meine Aufgabe. So als Manager. Die gschamste Karin. Mitsamt ihrer roten Birne. Wo ist die eigentlich? Hats ja auch nicht leicht gehabt, neben der Inge. Wie die immer geschaut hat, wenn die Karin einmal den Ton nicht getroffen hat. Na, mehr hat die nicht gebraucht. Auch der Gerhard nicht. Da hab ich nachher immer Schwerstarbeit leisten müssen. Damit sich die wieder vertragen. Dilettantismus, das hat die Inge nie vertragen. Und am Härtesten war sie eh immer zu sich selbst. Muss man zugeben. Was diese Frau für eine Disziplin hat. Die wird sicher noch 110 Jahre alt. Die hält die Verbissenheit am Leben. Wer stirbt, hat sich einfach nicht genug angestrengt, in ihren Augen. Macht einen halt auch nicht liebenswerter. War mir natürlich egal. Eh klar, dass ich mich genau in sie verlieben musste. Sie war halt ein geborener Star. Das hat man sofort gemerkt. Sie war eine von diesen Gesegneten. Die, die Menschen anziehen, einfach so. Ohne, dass die großartig was machen müssen. Außer einfach charismatisch sein. Dazu hatte sie noch diese Stimme. Ich habs einfach machen müssen. Also ihr Manager werden. Weil, ich wollt halt nicht mehr ohne sie sein. Und die anderen aus der Band, den Beifang, den nimmt man halt dazu. War mir egal. Alles war mir egal. Hauptsache gegen den Vater. „Schlurf“, hat der immer geschrien, wenn der mich gesehen hat. Als wären´s noch die 1940er Jahre. Sowas hat mich grad bestärkt. Die Schlurfs waren jetzt nämlich wer! Die Schlurfs machten jetzt anerkannten Jazz und die Leute haben das geliebt. Nächtelang haben die durchgetanzt und die Bellas waren ihre Helden. Ihre Rettung aus dem Alltag. Aus diesem grauen Wien. Wie die neuen Ginzburgs und Kerouacs haben wir uns gefühlt, nur auf musikalisch halt. Avantgarde, eine neue Beat-Generation. Und dann kam der Rock´n´Roll von drüben. Na gut und ab da war sowieso alles klar. Ich wollte die Nacht. Ich wollte Musik und ich wollte die Inge. Und lange Haare. Ich weiß eh, dass die Leute meinen Zopf lächerlich finden. Die Halbglatze ist halt blöd jetzt. Aber mir schneidet keiner mehr die Haare ab. Mit dieser Mattn leg ich mich ins Grab. Und wenns nur mehr drei einzelne Strähnen sind, die übrigbleiben. Aber die bleiben. Da entwickel ich einen 1A Altersstarrsinn, ich steh ja nicht auf der Bühne. Da muss ich kein Peter Alexander sein. Das Gut-Ausschauen überlass ich den anderen. Ich schau lieber aufs Geld. Also normalerweise. Heute, da fährt die Gage vermutlich irgendwo durch die Pampa. Verdammt, wie konnten wir uns nur das Auto klauen lassen? Wir brauchen die verfluchte Kohle. Und wo ist eigentlich die Karin hin? Moment mal. Karin weg. Auto weg. Das kann doch nicht… Aber andererseits... Das wär jetzt schon ein komischer Zufall, also, wenn es da jetzt keinen Zusammenhang gäbe?

 

Gabrijela

Ich weiß einfach beim besten Willen nicht, wo ich den Bus abgestellt hab. Bin ich eigentlich zuletzt gefahren? Muss ja so sein. Der Bert sieht so schlecht, der Gerhard hat zum Glück nie einen Führerschein gehabt, und die Inge macht sich nicht viel aus dem Autofahren. Dass es viel zu gefährlich wäre, die Karin hinters Steuer zu lassen, versteht sich ja von selbst, zum Glück hat sie nie darauf bestanden.

Die schmeißen mich sicher raus. Zuerst die Karin. Dann der Bus. Das macht keinen schlanken Fuß. Wenn das auffliegt, bin ich den Job los. Die müssen doch nur eins und eins zusammenzählen. Was mach ich denn jetzt? Ich kann doch nicht diese gottverdammte Region abhatschen, bis ich das depperte Auto wiederfind. Vielleicht ist es ja auch abgeschleppt worden oder ein Traktor hat es touchiert? Ich weiß ja nicht, wie das Auto geparkt ist. Und wenn sie dann das Touren ganz einstellen, weil das mit dem Zug nicht geht? Dann müssen wir zuhause sitzen. Das geht nicht. Da drehen die mir durch. Dann bin ich den Job wirklich los und muss wie die anderen zu so einer Volldementen ins Dorf.

Und wenn der Bert den Bus irgendwo versteckt hat, um mir was anzuhängen, weil es doch klar ist, dass ich für den Bus verantwortlich bin? Wenn er mitbekommen hat, dass ich manchmal so vergesslich werde?  Dass das mit der Demenz vielleicht bei mir auch. Aber den Gefallen tu ich ihm nicht, dass ich ihm das leicht mach. Ich bleib. Weil, wo soll ich denn hin? Da denkst du, Pflege ist ein krisensicherer Beruf. Und dann wachst du auf und siehst ein, dass sie dir das immer nur erzählt haben. Dass das auch nur so eine von ihren Geschichten ist, mit denen sie dich bei der Stange halten. Aber mit mir nicht. Das sag ich den Berts dieser Welt. Mit mir sicher nicht. Ich lass mich doch von denen nicht so vorführen.

Gerhard

Wenn es ans Eingemachte geht, dann muss die Kohle stimmen. Sonst hast du verloren. Ich seh das ja alles sehr pragmatisch, mit dem Geld. Leidenschaft darfst du da keine haben. So wie der Bert. Darum ist der ja auch in Gelddingen so schlecht. Guter Manager, was die Motivation betrifft, klar, schau ihn dir an. Aber was die Kohle betrifft, vergiss es. Da dürfen dir deine Gefühle nicht dazwischenkommen.

Auch so was Rührendes, wie der Bert glaubt, dass er uns mit dem bisschen Gage zu einem besseren Leben verhilft. Dass er uns dieses Leben mit seinem Verhandlungsgeschick überhaupt erst ermöglicht. Ein kleines Haus, eine Pflegerin dazu.

Ich hab ihn immer in dem Glauben gelassen, dass wir das alles nur ihm zu verdanken haben. Denn im Grunde wollte ich ja auch immer genau dasselbe wie er. Nämlich, dass es weitergeht. Dass wir alle zusammen bleiben. Dass wir gemeinsam für unsere Sache leben. Für unsere Kunst, für die Musik, für das Touren und den Rock`n`Roll. Muss ja keiner wissen, dass ohne meine Nebeneinkünfte das Haus schon längst weg wäre.

Und jetzt, jetzt hab ich eben einen Lauf. Dank diesem Virus. Muss man sagen, ein unverhofftes Geschenk. Klar, anstecken darfst dich halt nicht. Aber ansonsten? Eine echte Gelddruckmaschine. War das herrlich, in die fallenden Aktien von diesen Großveranstaltungsarschlöchern zu investieren! Ihnen beim Untergehen zuzuschauen und dabei ihre Kohle einzustreifen. Optionsscheinchen sei Dank! Recht geschieht denen.

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Ist nur unsere Entschädigung. Für alle entgangenen Einnahmen, die sie uns abgepresst haben. Für alle Slots, auf allen Festivals, auf denen sie uns nicht gebucht haben. Und das sind ja bei Weitem nicht die einzigen Unternehmen, die da bald krachen gehen. Tja. Da wird dann eben schnell und schlau investiert werden. Und dann, dann ist es endlich Zeit für Palm Springs. Also unseres halt. Kein Klo mehr am Gang, sondern eines direkt in der Wohnung. Und die Badewanne, die lass ich auch rausnehmen und gegen eine Dusche ersetzen, die alle Stückerln spielt. Mit Griffen und allem Komfort. Ein Smart Home, mit ferngesteuerten Vorhängen, automatischer Herdüberwachung und einem Haushaltsroboter, für die Gabrijela. Und vielleicht ein rosa Cadillac. Man weiß ja nie. Jetzt wo der Tourbus weg ist.

 

Der Zug hält. Alle steigen aus. Karin steht aufgelöst am Bahnsteig und schreit.

 

Karin

Wo kommt´s ihr denn jetzt bitte plötzlich her? Ich warte da jetzt schon seit mindestens zwei Stunden beim Bus! Ich hab Durst. Und das verdammte Ding steht im Halteverbot. Kann jetzt bitte wer anderer übernehmen? Ich mag nimmer aufpassen.

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